Nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus und dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam es zu zahlreichen Neugründungen der so genannten Nachbarschaftsheime. Es handelt sich hierbei um eine Grundform sozialen Zusammenwohnens, die bestimmt ist von einem Wir-Empfinden, von räumlicher Nähe, von Übereinstimmung und Teilen von Sitten und Bräuchen etc. Die Grundlagen für eine gute Nachbarschaft sind Partnerschaftlichkeit, Namentlichkeit, Kompromiss und Toleranz.
Die Nachbarschaftsheime wurden von verschiedenen, häufig aus den USA stammenden Bewegungen gegründet. Die Quäker, aber auch andere Träger, spielten dabei eine wichtige Rolle: In Berlin-Neukölln ging z.B. die Initiative von der YWCA (Christlicher Verein junger Frauen) aus, und das Nachbarschaftsheim Kreuzberg (das heutige Nachbarschaftshaus Urbanstraße), Berlin, wurde von Mennoniten gegründet. Das Anliegen der Gründer:innen war, mit den Nachbarschaftsheimen einen Beitrag zur Mitmenschlichkeit (Hilfeleistungen für Bedürftige, Arbeitsbeschaffung, Jugendarbeit) zu leisten und eine Umerziehung der Deutschen (Mitbestimmung) in Gang zu setzen. Die Ideologie der Nachbarschaftsheime wurde von Begriffen wie Toleranz, Neutralität, Überparteilichkeit geprägt.
Was der Aufbau dieser Einrichtungen in der Realität der Nachkriegsjahre bedeutete, veranschaulicht das Beispiel aus Berlin, Neukölln:
Prinzip der Arbeit war, dass die deutsche Jugend für sich selber etwas aufbauen konnte, nicht ihr etwas überzustülpen. Im April 1947 konnte in einem Gebäude in Neukölln ein Zimmer genutzt werden. Die Armee gab Röntgenplatten, die gereinigt und zu Fenstern verarbeitet werden konnten. Das machten die Jugendlichen, zunächst für alte Leute, dann für sich selber. Später brachten sie Mütter und Geschwister mit.
YCWA-Gruppen sammelten Kleider, Schuhe, Schokolade. Wer eine Stunde Hilfe leistete, bekam einen Schein und konnte ihn gegen Sachen einlösen. Frauen haben alte Armeesachen umgearbeitet. Aus sieben Armeeschlipsen konnte man einen Mädchenrock nähen. Die Jungen haben Tische und Stühle aus Armeebeständen wiederaufgearbeitet. Wichtig war, dass die Frauen aus der Isolation herauskamen, dass sie etwas für sich tun konnten. Viele Männer waren gefallen oder noch in Gefangenschaft. Im Nachbarschaftsheim konnten Frauen etwas für die Familie verdienen und sich gegenseitig helfen und stärken.
(Dieter Oelschlägel, 1991, S.5)
Trotz der günstigen Anfangssituation in den ersten Nachkriegsjahren war der Aufbau von dem ständigen Bewusstsein begleitet, dass die finanzielle Unterstützung durch ausländische religiöse Gruppen zurückgehen würde. Diese Aufbauzeit wurde später oft als „emotionaler Höhenflug“ beschrieben und wurde vor allem von denen, die dem Faschismus ablehnend gegenüberstanden, als „Zeit der Befreiung“ verstanden, auch wenn die Aufarbeitung des Faschismus dabei kaum Gegenstand der Auseinandersetzungen war. Es gab aber auch kritische Einschätzungen zu dieser „Überparteilichkeit“, wie Vorwürfe der Systemanpassung an die Amerikaner und auch des Antikommunismus.